Suizidgedanken: Wie Angehörige wirklich helfen können

Suizidgedanken: Wie Angehörige wirklich helfen können
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  • Veröffentlicht: 10.09.2025
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Für Menschen mit Suizidgedanken kann ein Gespräch mit Angehörigen entlastend wirken. Zum Welttag der Suizidprävention haben wir mit Psychotherapeutin Katharina Henz über dieses Thema gesprochen.

Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um Suizid und psychische Erkrankungen. Bitte lies den Artikel nur, wenn du dich psychisch stark genug fühlst. Anlaufstellen und Hilfsangebote findest du am Ende in der grünen Box.

Im vergangenen Jahr starben allein in Österreich 1.219 Menschen durch Suizid. Hinter jedem einzelnen dieser Fälle steckt ein tragisches Einzelschicksal – und doch verbirgt sich hinter dieser Zahl auch eine positive Nachricht: Die Suizid-Rate sinkt laut der Weltgesundheitsorganisation seit 30 Jahren kontinuierlich. Forschende führen das unter anderem auf eine verantwortungsvollere Medienberichterstattung sowie auf eine gestiegene emotionale Kompetenz bei Jugendlichen zurück. Zudem finden Betroffene heute schneller Anlaufstellen und Unterstützungsangebote – auch online.

Trotz sinkender Betroffenenzahlen ist Suizid nach wie vor ein sensibles und wichtiges Thema, mit dem Betroffene wie Angehörige oft überfordert sind. Am 10. September wird deshalb jedes Jahr der Welttag der Suizidprävention begangen – um über die Ursachen und Folgen aufzuklären und das Tabu-Thema zurück auf die Tagesordnung zu rufen. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn ein Angehöriger Suizidgedanken hat – und wie gehe ich mit Betroffenen am besten um? Darüber haben wir mit Psychotherapeutin Katharina Henz gesprochen.

Suizidgedanken werden nicht immer direkt angesprochen. Woran erkenne ich bei einem Angehörigen den Unterschied zwischen einem flüchtigen, dunklen Gedanken und einer ernsthaften Absicht?
Die richtige Einschätzung ist oft schwierig, denn viele Menschen mit konkreten Suizidabsichten wirken sehr entspannt und abgeklärt, weil sie für sich schon eine klare Entscheidung getroffen haben. Für Außenstehende sieht das dann oft so aus, als sei eine große Anspannung von ihnen abgefallen und als ginge es der Person plötzlich besser. Genau diese Abgeklärtheit kann aber ein mögliches Alarmzeichen sein.

Viele Menschen bekommen große Angst, wenn sie hören, dass jemand aus ihrem Umfeld Suizidgedanken hat. Wie alarmierend sind solche Gedanken?
Es kommt darauf an, wie eine Person Suizidgedanken äußert und welche Absichten dabei erkennbar werden. Kündigt jemand konkrete Handlungen an oder deutet einen Abschied an, ist sofortiges Handeln erforderlich. Sagt die Person zum Beispiel: „Heute Abend sehen wir uns nicht mehr. Ich wünsche dir alles Gute für dein restliches Leben“, sollte zur Sicherheit die Polizei verständigt werden. Auch bestimmte Verhaltensweisen können auf eine akute Gefahr hinweisen – etwa das Recherchieren von Suizidmethoden, ein hinterlassener Abschiedsbrief oder das Horten von Medikamenten, Waffen oder ähnlichen Mitteln. Darüber hinaus sollte man aufmerksam werden, wenn sich jemand stark zurückzieht, das Interesse an Aktivitäten verliert oder beginnt, persönliche und wertvolle Dinge zu verschenken.

Wie beginne ich ein Gespräch mit Menschen, die Suizidgedanken haben?
Es kommt immer darauf an, in welcher Phase sich die betroffene Person gerade befindet. In jedem Fall ist es wichtig, nicht aggressiv zu reagieren, sondern die eigene Sorge auszudrücken. Das kann zum Beispiel so klingen: „Ich mache mir große Sorgen um dich. Manche Dinge, die du gesagt hast, stimmen mich nachdenklich. Ich habe Angst, dass du dir etwas antun könntest.“ So entsteht Raum für ein Gespräch.

Wie kann ich sensibel auf den Betroffenen eingehen, um mehr über den Gemütszustand der betroffenen Person zu erfahren?
Zuallererst ist es wichtig, dass man selbst in einer stabilen Stimmung ist und sich stark genug fühlt, um über schwierige Dinge zu sprechen. Auch der Rahmen spielt eine große Rolle: Am besten sucht man einen ruhigen Ort und nimmt sich ausreichend Zeit. Zu Beginn kann eine Ich-Botschaft stehen, zum Beispiel: „Ich mache mir Sorgen. Wie geht es dir eigentlich? Ist meine Sorge berechtigt? Du wirkst sehr zurückgezogen. Du machst Dinge, die gar nicht typisch für dich sind. Magst du drüber reden?“ Danach ist es wichtig, zuzuhören und die Person nicht sofort mit Trost oder Ratschlägen zu unterbrechen. Das ist oft die schwierigste Aufgabe: es auch einmal auszuhalten, wenn jemand sagt: „Mir geht es schlecht, manchmal macht alles keinen Sinn.“ Der Impuls ist oft groß, solche Aussagen abschwächen zu wollen. Stattdessen kann es hilfreich sein, zu validieren: „Ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön schwer für dich ist. Danke für dein Vertrauen.“

„Die schwierigste Aufgabe ist, es auch einmal auszuhalten, wenn jemand sagt: ‚Mir geht es schlecht, manchmal macht alles keinen Sinn.‘“
Psychotherapeutin Katharina Henz

Viele Angehörige wollen wahrscheinlich sofort eine Lösung anbieten.
Genau, allerdings zeigen Studien, dass Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, oft gerne mit jemandem gesprochen hätten, aber niemanden gefunden haben, dem sie sich anvertrauen konnten. Es geht also nicht darum, sofort eine Lösung zu finden, sondern darum, da zu sein und die Person ernst zu nehmen – das kann oft ein Wendepunkt sein. Zuhören, ernst nehmen, nichts schönreden – das ist die Devise.

Gibt es konkrete Fragen, die Angehörige stellen können?
Ja, zum Beispiel:

  • „Möchtest du mit mir darüber reden?“
  • „Gibt es etwas, das ich für dich tun kann?“
  • „Was könnte dir am meisten helfen?“
  • „Was täte dir gut?“

So gibt man der Person die Möglichkeit, selbst Wege und Lösungen zu finden und Wünsche zu äußern.

Können regelmäßige Check-ins dabei helfen, in der kommenden Zeit im Gespräch mit der Person zu bleiben?
Auf jeden Fall. Je nach Situation kann man vorschlagen, in ein paar Tagen noch einmal zu sprechen oder fragen, ob regelmäßige Check-ins am Handy hilfreich wären. Es geht darum, gemeinsam einen nächsten Schritt zu überlegen – ganz ohne Druck. Man könnte die Person auch nach eigenen Ideen fragen: „Was könnte denn der nächste Schritt sein? Soll ich dir helfen, eine Anlaufstelle zu finden?“

Was können Angehörige tun, wenn die betroffene Person darum bittet, das Gespräch geheim zu halten?
Man ist nicht verpflichtet, Geheimnisträger:in zu bleiben. Es ist wichtig, sich Unterstützung zu holen, zum Beispiel bei unterschiedlichen Anlaufstellen. Angehörige sind oft überfordert und wissen nicht, wie die nächsten Schritte aussehen könnten. Man kann sich aber auch einer nahestehenden Person anvertrauen. Dabei geht es nicht darum, sich hinter dem Rücken der/des Betroffenen abzusprechen, sondern ein Helfer-Team zu bilden und vielleicht gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie es weitergehen könnte.

Angehörige wünschen sich mitunter, dass Betroffene sofort eine Therapie in Anspruch nehmen. Ist das im Akutfall realistisch?
Es ist völlig in Ordnung, wenn die betroffene Person nicht sofort reagiert oder keine unmittelbare Veränderung möchte. Man darf sich in Geduld üben. Vielleicht hilft es zu wissen, dass allein das gemeinsame Gespräch schon eine große Wirkung haben kann. Der/die Betroffene hatte vielleicht zum ersten Mal die Gelegenheit, diese Gedanken laut auszusprechen.

Was können Angehörige selbst tun, um mit der eigenen Belastung umzugehen?
Menschen im nahen Umfeld sollten sich immer wieder bewusst machen, dass sie nicht für das Leben der anderen Person verantwortlich sind und nur so viel Unterstützung anbieten sollten, wie sie selbst auch tragen können. Bereits zuzuhören ist schon eine große Hilfe. Man muss nicht alles stehen und liegen lassen oder Tag und Nacht über die Situation nachdenken. Ich empfehle, selbst Unterstützung in Anspruch zu nehmen – zum Beispiel bei einer der Anlaufstellen anzurufen und zu erzählen, was einem gerade anvertraut wurde.

Gibt es Personengruppen, die besonders häufig mit Suzidgedanken zu kämpfen haben?
Eine besonders gefährdete Gruppe sind Männer um die 70, die ihre Partnerin verloren haben und dann vereinsamen, weil zuvor die Ehefrau alle Sozialkontakte gemanagt hat. Wenn niemand in dieser Zeit Unterstützung anbietet, ist diese Gruppe einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, ihr Leben vorzeitig zu beenden. Viele denken fälschlicherweise, Suizid sei vor allem ein Thema, das jüngere Menschen betrifft – das stimmt aber nicht.
Auch Personen mit bipolaren Störungen oder Schizophrenie haben ein höheres Suizidrisiko. Die Suizidrate ist seit den 1980er-Jahren allerdings deutlich zurückgegangen. Das liegt weniger an der Stabilität der Bevölkerung, sondern an einem sensibleren Umgang der Medien, die heute viel verantwortungsvoller über das Thema berichten und auf Hilfsangebote hinweisen.

Laut WHO sind die Suizidraten in westlichen Gesellschaften höher. Woran liegt das?
Das hängt stark mit der zunehmenden Vereinsamung in unserer Gesellschaft zusammen. In anderen Ländern lebt man oft mit mehreren Generationen unter einem Dach – da ist das Risiko zu vereinsamen deutlich geringer. Einsamkeit ist ein großes Problem, das uns vor vielfältige Herausforderungen stellt.

Die wichtigsten Anlaufstellen:

  • bittelebe.at: Ein Hilfsangebot für Freund:innen und Bezugspersonen von Jugendlichen mit Suizidgedanken
  • HPE – Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter (Beratung auch via Chat oder Email möglich)
  • Rat auf Draht: Telefonnummer 147
  • Telefonseelensorge: Telefonnummer 142
  • Supra – Suizidprävention Austria
Foto: Xenia Bluhm

Mag.a Katharina Henz ist systemische Psychotherapeutin und führt eine Praxis in Wien. Gemeinsam mit der angehenden Psychotherapeutin Bernadette Kommenda betreibt sie den Podcast „Auf der Couch“. Mehr Infos findest du auf ihrer Website. 

Bist du betroffen?

Viele Menschen haben mit Suizidgedanken zu kämpfen. Dabei handelt es sich um alle Gedanken, Verhaltensweisen und Handlungen, die darauf abzielen, sich das Leben zu nehmen. Du bist unsicher, ob du auch schon mal solche Gedanken hattest? Die folgenden Infos könnten dir dabei helfen, Suizidgedanken rechtzeitig zu erkennen:

  • Das eigene Leben wird möglicherweise als sinnlos erlebt.
  • Das Leid einer bestehenden psychischen Erkrankung kann sich verstärken, verbunden mit Gefühlen der Ausweglosigkeit.
  • Betroffene ziehen sich oft zurück und isolieren sich von ihrem sozialen Umfeld.
  • Mitunter wird auch die Körperpflege vernachlässigt.
  • Gedanken wie „Welchen Sinn hat das alles noch?“ oder „So will ich nicht weiterleben“ können auftreten.
  • Autoaggressionen, also gegen sich selbst gerichtete Aggressionen, können zunehmen.
  • Wichtig: Häufigkeit und Intensität dieser Gedanken können stark variieren.

Wie entstehen Suizidgedanken überhaupt?

  • Suizidgedanken sind ein häufiges Symptom bei Depression oder anderen psychischen Erkrankungen.
  • Suizidgedanken entstehen, wenn der psychische Leidensdruck eines Menschen Überhand nimmt.
  • Grund dafür können aber auch belastende Lebensereignisse wie etwa eine schwierige familiäre Situation, ein Schicksalsschlag, Vereinsamung, schwere körperliche Erkrankungen uvm. sein
Sabrina Kraußler

Online-Redakteurin

Sabrina Kraußler ist seit Juli 2025 Online-Redakteurin bei „Refresh“ und „Welt der Frauen“. Die in Wien lebende Journalistin beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen, Psychologie, Gesundheit und Fragen rund um ein selbstbestimmtes Leben. In ihren Beiträgen wirft sie einen kritischen Blick auf Social-Media-Phänomene und das Spannungsfeld zwischen Ideal und Realität.

sabrina.kraussler@welt-der-frauen.at

Foto: Nico Popotnig


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